Dienstag, 29. August 2006
Vom Schicksal des netten alten Mannes
Es gibt hier auch ernsthaft negative Seiten, über die ich nicht hinwegsehen kann.
Ich befinde mich hier in einer Lungenklinik und was das bedeutet war mir eigentlich von Anfang an klar. Ein Pfleger sagte abends mal, um den netten alten Herrn neben mir und mich zu beruhigen: "Eine Tuberkulose ist nicht so schlimm, das hatte ich auch mal... Tuberkulose ist das Beste, was man hier bei uns haben kann."

Und mit diesen Worten verliess er das Zimmer.

Dieses gesamte Haus ist durchzogen vom Tod. Viele von den Menschen die in den Zimmern um mich rum liegen werden hier wahrscheinlich nicht mehr raus kommen.
Es ist schlimm, diesen Gedanken ständig im Hinterkopf haben zu müssen, auch wenn man sich die meiste Zeit irgendwie ablenken kann.
Ich frage mich manchmal ernsthaft, wie Pfleger und Schwestern es schaffen, sich hier zu einem Lächeln durchzuringen, umgeben von dieser Atmosphäre.

Ich frage mich, ob es Fluch oder Segen ist, daß ich mein Zimmer nicht verlassen kann.

Ich habe hier eigentlich gar keinen Grund zu jammern, auch wenn ich die Isolation gerne als Grund dazu sehe und auch wirklich gerne jammere, nur damit man sich ein bisschen besser fühlt...

Eine Sache, die mich hier sehr mitnimmt ist der alte Mann im Nebenbett. Er kam aus einer Klinik von weit her, wo er vorbehandelt wurde auf Tuberkulose. Dann landete er hier, in meinem Zimmer, und wurde weiterbehandelt. Auf Tuberkulose.

Mir fiel von Anfang an auf, daß der alte Mann viel zu wenig hustete. Auch sein TBC-Test fiel negativ aus. Für mich war klar, daß der Mann fehldiagnostiziert wurde, allerdings nicht hier, sondern bereits in der anderen Klinik.
Nachdem man ihm hier in die Lunge geschaut hatte (nicht via Bronchioskopie, sondern via lange Nadel und zwar durch die Rippen!), fiel den Ärzten plötzlich auf, daß da etwas nicht stimmte.
Ich schätze, Montag wird er umverlegt, wenn sich alle GANZ sicher sind, daß er doch keine TBC hat...
Anstecken kann er sich bei mir nicht, da er stark chemisch auf TBC behandelt wird.
Seit Tagen beklagt er Schmerzen von der Lungenpunktion und sein ganzer Körper ist verstochen. Jeden Abend bekommt er eine Spritze in den Bauch, hat wohl irgendwas mit dem Prostatakrebs zu tun, den sie ihm in der anderen Klinik bereits rausoperiert hatten.
Dazu kommt, daß sich seine Familie einen Scheissdreck um ihn kümmert.
Zweimal die Woche tauchen seine Frau und seine beiden Töchter hier auf und jammern ihm vor, daß es zu teuer sei, jeden Tag mit dem Bus hergefahren zu kommen.
Ansonsten haben sie sich nicht viel zu erzählen.
Das Wetter, blahblah, Small-Talk.
Der alte Mann hat es schwer und manchmal würde ich ihm gern auf die Schulter klopfen und ihm sagen "Das wird wieder, Kopf hoch!".
Aber ich habe keine Ahnung, ob es wieder wird.
Keiner weiß, was er in der Lunge hat und man für TBC hielt, folglich wird er auch darauf noch nicht behandelt. Und dennoch: Schmerzen, Blutentnahmen, Nadeln, Röhrchen, eine schreckliche Familie die einem nichts mehr zu sagen hat ausser nervtötender Nichtigkeit.
Man sollte nicht allzuviel darüber nachdenken. Normalerweise kann man auch ganz gut Distanz halten zu Menschen, die man nicht kennt und deren Probleme man sich nicht aufladen will. Aber hier springen sie einen an, ob man will oder nicht.

Ich denke manchmal zu viel nach. Über den alten Herrn im Nebenbett, über die Klinik im Allgemeinen und über die schrecklichen Hust- und Würglaute, die man gelegentlich aus nahegelegenen Zimmern hört.

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Ich denke, es ist in deinem Fall ein Segen, dass du dein Zimmer nicht verlassen darfst. Und immer wenn es dir wie ein Fluch vorkommt, dann packe es unter "Extremerfahrungen" und schiebe es zurück zum Segen... ein Weilchen könnte das so ganz gut klappen.

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